Rollenspielen-Broschüre – Die Umsetzung | Themen. Räume.
Flipchart-Rollen. Bälle rollen. Geschlechterrollen. Tischfußballtische und Flipchart-Rollen in den Kofferraum und los ging die kleine Tour durch Niedersachsen. In transkulturellen Treffs in Oldenburg, Hannover und Lüneburg wurden die Veranstaltungen Ende 2019 durchgeführt.
Wie läuft eine Rollenspielen-Veranstaltung grundsätzlich ab?
Bei Rollenspielen kommen 10 bis 25 junge Männer* mit und ohne Flucht-/Migrationserfahrungen für ca. vier Stunden zusammen, um im ca. 30-minütigen Wechsel Tischfußball zu spielen und über verschiedene Themen – angeleitet durch eine pädagogische Fachkraft – in den Austausch zu kommen.
Für eine Veranstaltung braucht es einen Raum, der Platz für 3-4 Tischfußballtische, einen Stuhlkreis und ein Flipchart bietet. Um eine vertrauliche Atmosphäre zu schaffen, sind Zuschauer*innen von der Veranstaltung ausgeschlossen.
Wie läuft das Tischfußballturnier ab?
Der Turniermodus ist auf Spaß und Austausch ausgerichtet und nicht auf technisches Können und Wettkampfehrgeiz. Es spielen stets Doppel und es gibt keine festen Teams, sondern nach jeder Spielrunde wird jedem Teilnehmer* ein neuer Spielpartner* zugelost.
Damit alle Teilnehmenden möglichst lange realistische Chancen und Lust auf die Finalrunde – in der die vier siegreichsten Spieler* in Doppeln gegeneinander antreten – haben, greift ein spezieller Rechenmodus: Wer viele Spiele im Laufe der Veranstaltung gewonnen hat, wird in der folgenden Runde einem neuen Mitspieler* zugelost, der viele Spiele verloren hat und umgekehrt. So werden „Überflieger“ etwas abgebremst und Teilnehmende mit Spielpech sind nicht nach den ersten Spielen vollends demotiviert.
Bis zur Finalrunde, die den Abschluss der Rollenspielen-Veranstaltung bildet, spielen alle Teilnehmenden mit. In der Finalrunde feuern alle Anwesenden die vier siegreichsten Spieler* an, wenn es darum geht, welches Doppel wohl die Siegerpokale gewinnen wird.
Wie gestaltet sich der Einstieg in die Diskussionsrunden?
Zu Beginn gibt es eine kurze Einführung in den Ablauf der Veranstaltung und wichtige Regeln des Miteinanders werden klar kommuniziert. So wird insbesondere betont, dass niemand sich in der Gruppe zu etwas äußern muss, das unwohle Gefühle auslösen könnte. Alle Anwesenden achten darauf, sensibel eigene Äußerungen vorzunehmen und auf Äußerungen von anderen zu reagieren, um Verletzungen zu vermeiden.
Der Einstieg in die Diskussion findet im Stuhlkreis statt, in dessen Mitte ein großer Pool an Bildkarten ausgelegt ist. Die Teilnehmenden suchen sich aus dem Pool eine Bildkarte aus, die zu ihrer aktuellen Stimmung / ihrer aktuellen Situation passt. Dann stellen sie sich mit ihrem Namen vor und beschreiben kurz, warum sie ihre Bildkarte ausgewählt haben.
Wie kommen Austausch und Diskussion ins Rollen?
Weiter geht es mit einem Positionsbarometer. Zu vorgetragenen Statements im Themenfeld „Geschlechterrollen und Rollenvorstellungen“ positionieren sich alle im Raum; je nach dem Grad ihrer Zustimmung oder Ablehnung zum Statement. Die Statements sind teilweise bewusst zugespitzt formuliert, um emotionale Reaktionen hervorzurufen und zum ersten Meinungsaustausch anzuregen. Verwendete Statements waren beispielsweise „Elternzeit für Väter* ist sehr wichtig.“, „Ich bin ein ‚echter Mann‘!“, „Ein Mann* zu sein hat nur Vorteile!“, „Frauen* verdienen für vergleichbare Tätigkeiten genauso viel Geld wie Männer*!“.
Einige Teilnehmende werden gefragt, warum sie sich zum jeweiligen Statement an ihrer Position im Raum eingefunden haben und welche Gedanken und Gefühle das Statement bei ihnen ausgelöst hat.
Welche Themen und Fragen werden gemeinsam diskutiert?
Nachdem eine gewisse vertrauliche und zugewandte Grundatmosphäre im Raum geschaffen wurde und das erste Eis gebrochen ist, geht es in den Diskussionsrunden fortan sehr offen weiter.
Über viele verschiedene Themen wird gemeinsam diskutiert. Welche Themen das sind, das liegt vor allem daran, was die jeweilige Gruppe gerade bewegt, vor welchen Herausforderungen die Männer* zurzeit stehen und auf welche Fragen sie aktuell (noch) keine Antworten haben.
Folgende Fragen wurden in den drei Veranstaltungen insbesondere diskutiert:
- Wie erleben die Männer* in ihrem Alltag Männer* und Frauen* in Deutschland?
- Woran orientieren sie sich bei ihren Wahrnehmungen, Einschätzungen und Zielen?
- Welche gesellschaftlichen Rollenbilder präg(t)en sie, welche finden sie gut, welche sind schwierig zu verstehen?
- Wer kann was von wem lernen? Welche Ressourcen bringt wer wie ein?
- Welche Männlichkeits*modelle können attraktiv sein?
- Wie könnten auch sie von der Gleichstellung der Geschlechter profitieren?
- Welche Rolle spielen Geschlechterrollen für ihre Vorstellungen von Arbeit und Partnerschaft?
- Wie möchten sie gerne gesehen werden? Wo fühlen sie sich ausgebremst oder unsicher in ihren Zukunftsvorstellungen?
- Welche Erwartungen von außen an ihr Mann*sein hindern sie daran, ihre Gefühle und Verletzungen (offener) zu zeigen?
- Was spielt bei ihren Alltags- und Zukunftsfragen neben Genderaspekten noch eine Rolle?
Was wurde ausprobiert?
Viele weibliche* Fachkräfte und Ehrenamtliche fragen sich, ob sie mit einer Männer*gruppe gelingend in den Austausch zu männer*spezifischen Fragestellungen und Herausforderungen kommen können? Sind die Männer* verkrampfter oder verschlossener, wenn eine Frau* Gesprächsrunden moderiert, die sich ausschließlich an Männer* richten?
Ohne Vorankündigung und im lässigen Stil startete die Rollenspielen-Veranstaltung in Hannover versuchsweise mit einem Moderations-Tandem aus Mann* und Frau*. Welche Erfahrungen machte Hassnae El Mezzawi dabei in ihrer neuen Rolle? Inwieweit beeinflusste ihre Präsenz das Verhalten der Männer*? Im Interview „Teilhabe gestalten in Spannungsfeldern“ gibt Hassnae El Mezzawi Einblicke in ihre Eindrücke und Erfahrungen vor Ort.
Was wurde noch ausprobiert?
Über Flucht- und Migrationsthematiken wurde nur gesprochen, wenn die Männer* von sich aus darüber sprechen wollten. Das führte dazu, dass in den drei Veranstaltungen interessanterweise kaum über diese Thematiken gesprochen wurde. Vielmehr kamen die Männer*, ob sie nun selbst eine Flucht-/Migrationsgeschichte hatten oder nicht, auf Themen, die sich überwiegend mit ihren Zukunftsthemen hier in Deutschland befassten.
Ob die eigene Fluchterfahrung zum Thema gemacht wird, sollten Menschen mit Fluchtgeschichte selbst entscheiden. Darüber zu reden, insbesondere wenn eine moderierende Person es einfach beim ersten Kennenlernen schon zum Thema macht („Wo kommst du denn her?“, „Wie war das denn in deinem Herkunftsland?“, „Was findest du denn nun anders in Deutschland?“), kann sehr übergriffig und verletzend sein. Geflüchtete Menschen sind keine „interessanten Frageobjekte“, sondern vielschichtige Subjekte, die es zu respektieren gilt!
Bei einer der Rollenspielen-Veranstaltung suchte sich gleich zu Beginn ein Teilnehmer* aus dem Bilderpool einen Schmetterling aus und antwortete auf die Frage: „Warum hast du diese Bildkarte ausgewählt?“ folgendermaßen: „Ich habe diese Schmetterlingskarte ausgewählt, denn ich wünsche mir, dass meine Tochter auf diesem Schmetterling aus dem Iran nach Deutschland fliegt.“.
Wie ging es nach den Veranstaltungen weiter?
Die Erfahrungen aus den jeweiligen Veranstaltungen flossen in die Gestaltung von Fortbildungen ein, die an den Veranstaltungsorten jeweils einige Tage später für Fachkräfte und Ehrenamtliche angeboten wurden.
Die Fortbildungen boten den Teilnehmenden ein Forum, um gemeinsam darüber in den Austausch zu kommen, wie Verunsicherungen in der Arbeit mit Männern* abgebaut werden können und welche Rolle die eigene vergeschlechtlichte Sozialisierung für die Außenwahrnehmung spielen kann. Praxis- und Methodenbeispiele gaben den Teilnehmenden Ideen und Impulse mit, wie sie ihren Arbeitsalltag und ihre Angebote gender- und vielfaltssensibler gestalten können.
Im Broschüren-Kapitel „Was sehe ich (noch) nicht? Gender und vielfaltssensible Projektgestaltung“ sind einige der Praxisempfehlungen aufgeführt.
Hier geht es weiter zum nächsten Broschüren-Kapitel “Die Rückschau | Überraschendes. Offenes.” …>>>